Point of Sale

Heute früh gehe ich bei strahlend stahlblauem Septemberhimmel vom Parkhaus aus in den ersten Stock eines Bauhauses, um durch das Treppenhaus nach unten zu gelangen. Da stolpere ich fast vor Schreck. Sind hier oben doch normalerweise etliche Kaminöfen ausgestellt, aber heute?

Heute blinken mich kitschig bunte Lämpchen aus weißem Kunstschnee von Plastiktannen so surreal an, dass ich kurz die Orientierung verliere.

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Draußen, nicht vom Walde her komme ich, sondern vom Nymphenburger Park, in dem die herrlichsten Kastanien, Ahornbäume und Eschen in allen Farben des Bavarian Summers leuchten. Das Herz lacht und die Kinder schleppen aufgeregt ihre gesammelten Kastanien heim, um daraus Männchen, Schiffe oder Tiere zu basteln. Und jetzt das?

Fassungslos stehe ich vor dieser unsagbar geschmacklosen und viel zu früh auf Weihnachtskonsumrausch gebürsteten Marketingstrategie. Mich überkommt das Verlangen, selbst wenn ich zum Überleben den letzten Kaminofen seiner Art hier bekommen hätte, diesen Ort grauenvoller Vermarktung so schnell wie möglich hinter mir zu lassen und nie wieder betreten zu müssen.

Dabei lehrt es doch alle Theorie: Da der Konsument seine Kaufentscheidungen überwiegend aus dem Bauch heraus trifft, wenn er nur erst am Point of Sale eingetroffen ist, müssen wir lediglich seine Rezeptoren subtil reizen und er wird das tun, wozu er da ist: Konsumieren.

“Subtil reizen“, lehrt das Neuromarketing. Nicht mit dem Vorschlaghammer kämmen, auch wenn für manche Marketingleute jedes Problem wie ein Nagel auszusehen scheint, weil sie nur diesen zur Verfügung haben. Ich habe bisher die Meinung vertreten: Meine Kunden schreie ich nicht an. Heute wird dem Lead anscheinend sogar absichtlich mit dem Hinterteil ins Gesicht gesprungen. Warum tun die das? Schleppen die Besucher jetzt die Kaminöfen weg wie die berühmten warmen Semmeln? Das sollte man beobachten.

Auch in den verschiedenen Supermärkten stehen bereits pünktlich zum 1. September Paletten mit Spekulatien, Lebkuchen und Nikoläusen im Weg und zeugen vom schlechten Geschmack der Marketingabteilung – und der missverstandenen Theorie des verführbaren Verbrauchers. Aber sie stehen wenigstens nur im Weg und springen mich nicht an. Wenn auch Weihnachtsmänner an einem heißen Septemberabend, den ich im Biergarten verbringen werde, meine Rezeptoren nicht wirklich anregen können.

Ich achte mal darauf, ab welchem Tag ganz subtil „Jingle Bells“ zugeschaltet wird. Das sagt zwar nichts aus über den Verbraucher, eine Menge allerdings über den, der den Knopf drückt. Also, wenn schon antizyklisch, dann richtig. Warum nicht jetzt schon mit den lieben kleinen Osterhasis dem Verbraucher Frühlingsgefühle vermitteln und dafür das Lametta im Juli aus dem Speicher holen?

Ich werde mir morgen mal eines dieser ausgestellten Lebkuchenpakete mitnehmen und es dann Heiligabend öffnen, nur um zu testen, ob die Dinger dann wirklich noch essbar sind. Zahnarztrechnungen darf ich wohin schicken?

 

 

 

 

Elevator Pitch

Kürzlich schrieb ich an anderer Stelle über ein vor dem Geschäft aufgestelltes Display, das auf irgendwelche Angebote hinweisen soll. Und heute lese ich mit selektiver Wahrnehmung in einem Prospekt, mit welchem Namen dieses Ding tatsächlich angeboten wird: Kundenstopper!

Ist das nicht schön? Hier beschreibt der Name tatsächlich mal die Funktion. Wer hätte da nicht auch gleich gern 5-6 Kundenstopper?

Das bringt mich zu einer anderen Frage. Wie heißen denn diese Dinger, die am Supermarkt an der Kasse dafür sorgen, dass man die Waren der Kunden unterscheiden kann? Warentrenner? Kundenmarkierer? Ordnungsbalken?

Warum mich das beschäftigt? Aus vielen Gründen. Einer davon ist mein rein professionelles Interesse. „Was machen Sie beruflich?“ – „Ich produziere Kundenstopper!“ Das hat was.

So ein Schreibwarenprospekt ist ja auch ein wahres Marketingmonster. Da gibt es Karton-Trennstreifen, Trennblätter und Manila-Register, die ich alleine wegen des Namens bestellt habe. Es tummeln sich Ösenhefter neben Eckspannern und Einschlagmappen, die sich von schnöden Ordnungsmappen unterscheiden. Auch suche ich Sicht-, keine Prospekthüllen, wie ich den bunten Bildchen entnehme. Wobei mir beide Begriffe nicht aktiv geläufig waren.

Ist ja auch die klassische Schwierigkeit. Beschreiben Sie mit einem Begriff, in einem oder in zwei Sätzen, was Sie tun. So zwischen EG und III. Stock. Neudeutsch „elevator pitch“ oder „story“. „Ich fahre Lift“, gilt nur, wenn Sie der Liftboy sind.

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Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, das so zu formulieren, dass es für Ihren Gesprächspartner interessant klingt bzw. der Beginn eines guten Gespräches wird. Deswegen hört man meistens: „Ich bin Anwalt“, „Ich bin in einer Versicherung tätig“ oder „Ich coache Verkäufer“ – also alles keine wirklichen Burner!

Auch: “Ich schau’ dir in die Augen, Kleines!“, zieht nicht nur bei Humphrey-Bogart-Liebhaberinnen nicht mehr. Deswegen mein Tipp: Testen Sie Ihren neuen Elevator Pitch mal bei der heißen Blonden an der Hotelbar.

 

 

Loi Krathong – ลอยกระทง

Ende November begehen die Thailänder ihr traditionelles Loy Krathong Fest. Jedes Jahr zum Ende der Regenzeit, wenn der letzte Vollmond des Jahres am Himmel steht, versammeln sich nach Einbruch der Dunkelheit an allen Bächen, Flüssen und Seen, selbst an den Stränden der Andamanen See oder des indischen Ozeans die Menschen. Sie bringen kleine Körbchen zu Wasser, geschmückt mit Blumen und Kerzen. Und so treiben hunderte von kleinen Schiffchen im Kerzenlicht auf den Wassern dahin. Ein Anblick der, wenn man ihn das erste Mal sieht, so fremd ist und so schön. So fern und so vertraut, dass einem das Herz ganz weit und warm wird.

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Wie viele thailändischen Bräuche stammt auch dieses Fest vermutlich aus Indien. Doch die Thais, das stolze Volk der Freien, wie sie sich nennen, adaptieren alles von außen Kommende in irrsinniger Geschwindigkeit. Mit den Kerzen verehren sie fortan ihren Buddha, dem sie in ihren„fließenden (loy) Körbchen (krathong)“ meist auch noch verschiedene Räucherstäbchen mitgeben.

Praktisch veranlagt, wie die Thais in Allgemeinen sind, entwickeln sie aus importierten Vorgängen schnell ihre eigenen Rituale. So fällt auch die erste Bananenernte des Jahres auf das Ende der Regenzeit. Aus den Blättern und Strünken der Bananenstauden basteln sie ihre Krathongs, die kleinen Flöße, Körbchen oder Nester und schmücken sie mit Blumen, Kerzen und Räucherstäbchen. Aber auch ein kleiner persönlicher Nutzen muss schon sein. So geben die Thais ihren Nestern auch kleine Zettelchen mit. Dort schreiben sie ihre Sünden auf, ihre Laster, oder die typischen kleinen Bosheiten und geben sie dem Wasser mit. Eine elegante Art der persönlichen Absolution.

Komisch, dachte ich gestern, als ich im Herbstnebel plötzlich an das „Lichterfest“ dachte: So viele Feste importieren wir aus den USA: Muttertag oder Halloween sind solche Produkte. Aber selbst in Zeiten, wo schon fast jeder mal Urlaub im thailändischen Mallorca – Phuket – gemacht zu haben scheint, werden die thailändischen Feste hierzulande noch nicht begangen. Das müsste doch eine Marktlücke für ausgefuchste Trendmacher sein.  Passt doch das Lichterfest wunderbar in unsere stille Zeit und selbst das lärmende Songkran, das Wasserfest, fällt bei uns günstigerweise in den Frühling. Würde ich Tees verkaufen oder Kräuter, ich würde die Idee der Krathongs schon importieren. Nicht die Bananenblätter vielleicht, doch eine gewaltige Zubehörindustrie ließe sich aufbauen. Doch zurück zur eigentlichen Geschichte.

Wer abseits der touristischen Pfade in Thailand Loy Krathong feiern will, sollte sich zum Frühstück mit Thais an einen Tisch setzen. Schon bald kommen die ersten Verkäufer vorbei. Mit Blumensträußen, duftenden Orchideen, Blättern und Blüten, dass es eine Pracht ist. Nicht das Styroporzeug, das inzwischen in den Touristenzentren als fertiges Nest verkauft wird. Nein, alles bringt eine unglaublich füllige Natur einzeln auf den Tisch.

Dann wird man eingeladen, mitzumachen. Unter großem Palaver und Gelächter werden die ersten Nester geflochten und im eilig herbei gebrachten Eimer getestet. Natürlich gibt es etliche Tauchgänge und Schlagseiten. Doch mit umso größerem Eifer, wird an den Konstrukten gearbeitet. Es ist unglaublich, wie schnell so ein falsch gebasteltes Körbchen untergehen kann. An einen so kurzweilig verbrachten Tag, wie meinen ersten Krathong-Basteltag kann ich mich kaum erinnern. Ich denke, zum Schluss bastelten über 20 Leute an unserem „Frühstückstisch“.

Das fiel mir ein am Donnerstag, als ich in einen grauen Novembernachmittag schaute. Und ich ließ ein kleines Teelicht, das ich in einen Kranz aus Sonnenblumenblättern gestellt hatte, in einer Pfütze auf meinem Balkon schwimmen. Dem Kerzenlicht gab ich dabei die schlechten Gedanken dieses Jahres mit.