Point of Sale

Heute früh gehe ich bei strahlend stahlblauem Septemberhimmel vom Parkhaus aus in den ersten Stock eines Bauhauses, um durch das Treppenhaus nach unten zu gelangen. Da stolpere ich fast vor Schreck. Sind hier oben doch normalerweise etliche Kaminöfen ausgestellt, aber heute?

Heute blinken mich kitschig bunte Lämpchen aus weißem Kunstschnee von Plastiktannen so surreal an, dass ich kurz die Orientierung verliere.

unsplash©freestocks.org

Draußen, nicht vom Walde her komme ich, sondern vom Nymphenburger Park, in dem die herrlichsten Kastanien, Ahornbäume und Eschen in allen Farben des Bavarian Summers leuchten. Das Herz lacht und die Kinder schleppen aufgeregt ihre gesammelten Kastanien heim, um daraus Männchen, Schiffe oder Tiere zu basteln. Und jetzt das?

Fassungslos stehe ich vor dieser unsagbar geschmacklosen und viel zu früh auf Weihnachtskonsumrausch gebürsteten Marketingstrategie. Mich überkommt das Verlangen, selbst wenn ich zum Überleben den letzten Kaminofen seiner Art hier bekommen hätte, diesen Ort grauenvoller Vermarktung so schnell wie möglich hinter mir zu lassen und nie wieder betreten zu müssen.

Dabei lehrt es doch alle Theorie: Da der Konsument seine Kaufentscheidungen überwiegend aus dem Bauch heraus trifft, wenn er nur erst am Point of Sale eingetroffen ist, müssen wir lediglich seine Rezeptoren subtil reizen und er wird das tun, wozu er da ist: Konsumieren.

“Subtil reizen“, lehrt das Neuromarketing. Nicht mit dem Vorschlaghammer kämmen, auch wenn für manche Marketingleute jedes Problem wie ein Nagel auszusehen scheint, weil sie nur diesen zur Verfügung haben. Ich habe bisher die Meinung vertreten: Meine Kunden schreie ich nicht an. Heute wird dem Lead anscheinend sogar absichtlich mit dem Hinterteil ins Gesicht gesprungen. Warum tun die das? Schleppen die Besucher jetzt die Kaminöfen weg wie die berühmten warmen Semmeln? Das sollte man beobachten.

Auch in den verschiedenen Supermärkten stehen bereits pünktlich zum 1. September Paletten mit Spekulatien, Lebkuchen und Nikoläusen im Weg und zeugen vom schlechten Geschmack der Marketingabteilung – und der missverstandenen Theorie des verführbaren Verbrauchers. Aber sie stehen wenigstens nur im Weg und springen mich nicht an. Wenn auch Weihnachtsmänner an einem heißen Septemberabend, den ich im Biergarten verbringen werde, meine Rezeptoren nicht wirklich anregen können.

Ich achte mal darauf, ab welchem Tag ganz subtil „Jingle Bells“ zugeschaltet wird. Das sagt zwar nichts aus über den Verbraucher, eine Menge allerdings über den, der den Knopf drückt. Also, wenn schon antizyklisch, dann richtig. Warum nicht jetzt schon mit den lieben kleinen Osterhasis dem Verbraucher Frühlingsgefühle vermitteln und dafür das Lametta im Juli aus dem Speicher holen?

Ich werde mir morgen mal eines dieser ausgestellten Lebkuchenpakete mitnehmen und es dann Heiligabend öffnen, nur um zu testen, ob die Dinger dann wirklich noch essbar sind. Zahnarztrechnungen darf ich wohin schicken?